Nicola Bramkamp
6. Dezember 2021
Der Stillstand der Kultur in der Pandemie war ein Schock, er hat viele Künstler*innen existentiell getroffen und das Selbstbewusstsein einer ganzen Szene erschüttert. Schnell wurde ein Hilfsprogramm entwickelt, das diese dramatische Entwicklung abfederte und dessen Weiterführung nun im neuen Koalitionsvertrag verabredet wurde. Es trägt den sprechenden Namen „Neustart Kultur“. Doch wie kann dieser nachhaltig gelingen?
Seit 2014 bringen wir bei SAVE THE WORLD Künstler*innen und Wissenschaftler*innen zusammen, um mit den Mitteln der Kunst eine breite Öffentlichkeit für globale Zusammenhänge und komplexe Inhalte zu begeistern. Auf diese Weise entstehen verschiedenste künstlerische Formate, die sich sinnlich, provokant, humorvoll mit den Nachhaltigkeitszielen der UN auseinandersetzen.
Seit einigen Jahren fragen wir uns aber: Müssen wir, um glaubwürdig zu sein nicht noch einen Schritt weitergehen? Die ästhetische und inhaltliche Auseinandersetzung auf der Bühne ist wichtig, aber auch die Haltung und der gesamte Prozess dahinter gehört mit in das Paket, und zwar unter sozialen, ökonomischen und ökologischen Aspekten.
Neustart Kultur nachhaltig
Klar ist, dass unsere Gesellschaft in Gänze klimaneutral werden muss und das möglichst bis 2035. Diese Messlatte kann kein Sektor unterlaufen, auch nicht die Kultur. Die Grundvoraussetzung dafür: Analyse und Reflektion. Wir brauchen belastbare Daten, die uns zeigen, wo die großen Klimakiller im Kulturbereich zu finden sind, um diese dann zu reformieren. Denn: „What you measure you can manage“.
Das Pilotprojekt „Klimabilanzierung in Kulturinstitutionen“ (1) der Kulturstiftung des Bundes hat deutlich gemacht, dass die Theater mit ihren Produktionsweisen Teil des Problems sind. Im Schnitt bilanzierten die Häuser 1073 Tonnen Treibhausgasausstoß für 2019. Das entspricht aktuell dem Verbrauch von 224 Menschen pro Jahr (der weltweite Pro-Kopf-Verbrauch liegt bei 4,8 Tonnen). Für das Ziel der Klimaneutralität müssen wir Menschen jedoch unter einer Tonne pro Jahr verbrauchen. Wir müssen handeln, jeder, jetzt!
Practice what you preach ist daher die Losung der Stunde. Denn gemessen werden wir nicht nur an dem, was wir auf der Bühne predigen, sondern auch an dem, wie wir uns hinter den Kulissen verhalten. Das Bewusstsein und die Sensibilität dafür nehmen stark zu. Kunst muss Grenzen überschreiten dürfen. Aber Kunst muss sich auch die Frage gefallen lassen, ob es z.B. notwendig und sinnvoll ist, mit einem Bühnenbild aus riesigen, transparenten und extra gefertigten Plastikobjekten auf die Vermüllung der Meere anzuspielen. Vor allem dann, wenn der Regisseur in der Eröffnungsrede explizit die Klimakatastrophe anspricht. So geschehen bei den Salzburger Festspielen.
Kulturpolitische Strategien zur ökosozialen Transformation
Eine nachhaltige Reform der Theater ist komplex, die Klimabilanzierung hat gezeigt, dass es viele Bereiche gibt, die wir nun reformieren müssen: die Gebäudestruktur, den Material- und Energieverbrauch, die Mobilität der Künstler*innen und Zuschauer sowie die Verknüpfung mit den vielfältigen Bereichen gesellschaftlicher Infrastruktur.
Einiges ist in der Reflexionsphase der Pandemie in Bewegung gekommen, aber wir stehen erst am Anfang. In der ersten Arbeitsfassung der vom „Fonds Darstellende Künste“ beauftragten Studie „Förderung von Nachhaltigkeit“ von Maximilian Haas und Sandra Umathum (2) wird deutlich, dass die „politischen Strategien zur ökosozialen Transformation dieser Infrastruktur (…) zumeist weder spezifisch gefördert noch systematisch unterstützt werden. Sie werden vielmehr von engagierten Akteur*innen des Felds umgesetzt, die sich neben ihrer eigentlichen Arbeit in AGs organisieren. Dies ist insofern untragbar, als der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen durch Artikel 20a des Grundgesetzes, das deutsche Klimaschutzgesetz und den European Green Deal als Ziel staatlichen Handelns fest verbürgt ist. Dies muss sich künftig auch in der öffentlichen Förderung von Nachhaltigkeitsinitiativen (…) abbilden.“
Professionalisierung & Orchestrierung der neu entstandenen Initiativen
Es ist existentiell notwendig, dass die begonnene Transformation und ihre Akteure ihre Arbeit professionalisieren können und sich deren Engagement so auch strukturell abbilden lässt. Wir brauchen weitere Pilotprojekte,
best practice Beispiele und die Unterstützung, Vernetzung und Orchestrierung der vielen neuentstandenen Initiativen. Adrienne Goehler hat eindrücklich erläutert, dass eine nachhaltige Transformation nur gelingen kann, wenn wir kulturpolitisch größer denken und begreifen, „dass die bisherige kurzlebige Kulturproduktion und ihre Fördermodalitäten Nachhaltigkeit in der Kunst verunmöglichen.“ (3)
Ökologisch nachhaltige Produktionen sind zeitaufwendiger, geben mehr Geld für Personal und weniger für Materialien aus. „Dies muss sich auch in den Förderrichtlinien und -programmen abbilden: Mag die Sachmittelförderung zum initialen Aufbau nachhaltiger Strukturen sinnvoll sein, sollte der Fokus der Förderung klar auf Personen liegen. Diese müssen freilich auch in Sachen nachhaltiger Produktion informiert, unterstützt, vernetzt und weitergebildet werden. Hierzu sind Angebote wie das Theatre Green Book, das KSB-Pilotprojekt und die Veranstaltungen und Weiterbildungen des Aktionsnetzwerks Nachhaltigkeit vonnöten.“
Auch mit Blick auf die Institutionen ist eine Investition in Personen absolut sinnvoll. In seiner Arbeit „Bühnenbild & Nachhaltigkeit“ zeigt Ralph Zeger (4), dass wir vor allem bei den Materialkreisläufen wichtige Fortschritte machen können, wenn wir die Lager digitalisieren und effektiver verwalten, sich Produktionen untereinander austauschen und Bedarfe abgleichen sowie Werkstattkapazitäten nicht nur singulär nutzen, sondern auch der freien Szene zur Verfügung stellen. Aber wer soll – mit Blick auf die Mehrbelastung durch die Pandemie – diese Arbeit noch zusätzlich leisten können?
Zielvereinbarungen mit nachhaltiger Perspektive
Wir brauchen Zielvereinbarungen mit der Kulturpolitik. So lange das „schneller, höher weiter“, solange Auslastungszahlen und Einnahmen die entscheidende Maßgabe der Kulturpolitik sind, wird es keine Veränderung geben können. Der Blick nach England und die dortigen Aktivitäten des Art Councils zeigen uns, wie effektiv nachhaltige Kulturförderung gelingen kann. Allerdings haben wir mit unserer föderalen Struktur komplexere Voraussetzungen. „Es bräuchte eine koordinierte Initiative von Bund, Ländern und Kommunen, um tragfähige Nachhaltigkeitskriterien – allgemein, kontextsensibel und fair“ (Haas/Umathum) zu etablieren.
Die Pandemie macht ein physisches Treffen in Tutzing aktuell leider unmöglich. Das Nachdenken, der Austausch und der gemeinsame Dialog von Politik, Kunst, Wissenschaft und Gesellschaft - achtsam und solidarisch geführt - sind wichtiger denn je. Gemeinsam werden wir neue Wege beschreiten und Lösungen finden, davon bin ich überzeugt.
Quellen
(1) Vgl. Kulturstiftung des Bundes (2021): Klimabilanzen in Kulturinstitutionen.
Link
(2) Dem Verweis auf die Arbeitsfassung der Studie stimmten freundlicherweise der „Fonds Darstellende Künste“ und die Autor*innen zu.
Link
(3) Vgl. hierzu den Blogbeitrag
Tutzinger Manifest reloaded von Adrienne Göhler auf dieser Website
Link
(4) Vgl. zur Abschlussarbeit
Bühnenbild und ökologische Nachhaltigkeit
in der Weiterbildung Theater- und Musikmanagement an der LMU München und zur Person Ralph Zeger.
Link.
Autorin