Sylvia Amann
29. November 2021
Die ökologische Transformation, der Grüne Deal, der Klimaschutz sind in aller Munde – auch im Kultursektor. Allerdings besteht eine große Divergenz zwischen den zahlreichen und vielfältigen Bekenntnissen zur Ökologie und tatsächlichen Umsetzungsschritten.
Wertesystem eines Öko-Kultur-Politik-Systems
Aus welchen Bausteinen besteht ein Öko-Kultur-Politik-System ist eine grundlegende Frage zur Entwicklung dieses Politikfeldes. Grundsätzlich unterscheidet sich eine ökologische Kulturpolitik primär nicht von beispielsweise dem Politikfeld Innovation. Ein maßgeblicher Unterschied zu einer ökologischen Kulturpolitik liegt allerdings darin, dass sich die Innovationspolitik im existierenden Wertekanon wie u.a. der Konsumorientierung und der bestehenden Haltung zur Ressourcennutzung bewegt. Die ökologische Kulturpolitik geht darüber hinaus. Sie müsste sich im Klaren werden, welche Aktivitäten eine (allfällige auch intensive) Ressourcennutzung für Gesellschaft und/oder Wirtschaft noch rechtfertigen. Die dahinter schwerer wiegende Frage besteht darin, welche - auch kulturellen und künstlerischen Aktivitäten - eine intensive Ressourcennutzung nicht mehr rechtfertigen und damit allfällig auch nicht mehr von öffentlicher Kulturförderung profitieren sollen bzw. sogar ordnungspolitisch wie beispielsweise die Mobilität eingeschränkt werden sollten.
Ressourceneinsatz für alle Handlungsalternativen kritisch beleuchten
Die Alternativen zur Mobilität aus der digitalen Welt sind im Hinblick auf Ressourcenverwendung nicht viel schonender (BBC 2020). Und wiegen die Mehrwerte, wie Begegnung, künstlerische Inspiration, interkontinentale Solidarität und Verständnis für globale Zusammengehörigkeit mehr als der verursachte CO2-Ausstoß? Und wie wirken sich diese Entscheidungen auf die kulturellen Rechte und gleichberechtigte Teilhabe sowie den Zugang zu Absatzmärkten für Kreativleistungen weltweit aus? Eine ähnliche Diskussion kann auch im Hinblick auf neue Kulturbauten geführt werden. Argumentiert könnte diesbezüglich auch werden, dass die Architektur im Sinne des ökologischen Bauens gerade auch an Kulturbauten anschaulich darstellen könnte, wie ressourcenminimierende Bauprojekte umgesetzt werden. Die EU-Initiative New European Bauhaus (Europäische Kommission 2021) bewegt sich u.a. auf dieser Argumentationslinie. Argumentationslinien sind aber noch keine wertebasierten Referenzrahmen.
Bürger*innen-Kulturpolitik vs. Besucher*innen-Kulturpolitik
Teilhabe ist ein weiteres Schlüsselelement für eine erfolgreiche ökologische Kulturpolitik und damit stellt sich die Frage, wen ein solches Politikfeld adressieren soll. Die „traditionelle“ Kulturpolitik spricht in der Regel von Besucher*innen und Nicht-Besucher*innen. Diesbezüglich wurde umfassend in das sog. Audience Development investiert (u. a. Europäische Kommission 2014). Dieser löbliche Ansatz mit einem primären Fokus auf Besucher*innen scheint aber für eine ökologische Kulturpolitik zu kurz gegriffen. Eine bessere Zielgruppe sind die Bürger*innen bzw. Bewohner*innen eines bestimmten Territoriums und damit ein territorial spezifischer Ansatz, da die ökologische Transformation einen Kulturwandel der sowohl transversal – alle gesellschaftlichen Akteur*innen sind betroffen – als auch ortspezifisch fordert.
Kultur für eine erfolgreiche Transformation
Ein Wandel ist außerdem niemals eine technische, technologische oder wirtschaftliche Fragestellung allein und muss deshalb kulturell beispielsweise durch Diskurs, aber auch experimentell begleitet werden. Die Kultursektoren und die Kunst sind prädestiniert, mit ihren Mitteln der Ästhetik und des Kulturerbes diesen Kulturwandel zu begleiten. Ein anschauliches Beispiel stellt die Vorplatzgestaltung des Haupteingangs des estnischen Nationalmuseums in Tartu dar (Estonian National Museum Tartu, 2016), die Großteils auf natürliche Wiesen statt dem erwartbaren Rasen setzt. Dieses Beispiel hat sowohl eine ästhetische Dimension und hat das Potenzial alltägliches Handeln zu verändern.
Ökologische Kulturpolitik auf lokaler Ebene – ein Praxisbeispiel
Ökologische Kulturpolitik müsste sich demnach allen Bürger*innen öffnen. Dafür wären neue Unterstützungsmechanismen notwendig und auch eine neue Art der Governance. Sie müsste dafür sorgen, dass es einen breiten inhaltlichen Diskurs gibt, der für einen Großteil der Bevölkerung zugänglich, erfahrbar und aktiv mitgestaltbar ist. Integrative, cross-sektorale Kultur- und Stadtteilpolitiken könnten u. a. diesbezüglich interessante Referenzansätze für nationale und EU-Kulturpolitik darstellen. Ein diesbezüglich vielversprechendes Modell setzt beispielsweise die Stadt Halandri in Griechenland seit dem Jahr 2020 um, das die Zugänglichmachung eines wichtigen antiken Erbes mit einem partizipativen Ansatz mit der lokalen Bevölkerung im Themenfeld Gemeingut Wasser kombiniert.
Stereotypen überwinden und Fokus verbreitern
Dieses Aufbrechen von sektoralen Betrachtungsweisen und die massive Intensivierung der cross-sektoralen Zusammenarbeit sind deshalb gerade für eine ökologische Kulturpolitik und die diesbezüglichen Unterstützungsmaßnahmen unerlässlich. Ökologische Kulturpolitik sollte sich weg von eingefahrenen Vorstellungen und Stereotypen bewegen. Dies wird besonders deutlich im Hinblick auf die Natur oder auch den als ökologisch intakt empfundenen sogenannten ländlichen Raum (Amann, Sylvia 2018). Eine neue ökologische Kulturpolitik wäre demnach auch wichtig im Hinblick auf einen Diskurs, der über die technischen Anpassungen hinausgeht. Aktivitäten und Projekte wie Green Events (Bundesministerium für Umwelt 2021), Green Screens (INTERREG EUROPE 2017), Green Museums (NEMO 2021) sind erprobt und diesbezüglich kann man sich auf Referenzpraxen beziehen und rasch einer breiten Umsetzung zuführen.
Mensch-Natur-Beziehung als Schwerpunktthema
Eine ökologische Kulturpolitik sollte sich darüber hinaus stärker auf die breiteren und grundlegenderen Debatten konzentrieren, wie u. a. auf die Mensch-Natur-Beziehung. Gerne wird die Natur in Opposition zur Kultur gesetzt oder andersherum argumentiert, das Ideal der intakten Natur beschworen, die durch menschliche Eingriffe und Aktivitäten nicht weiter zerstört (oder gestaltet) werden darf. Interessante weiterführende Überlegungen des französischen Philosophen Baptiste Morizot umfassen das Selbstverständnis des Menschen, der sich wiederum als integraler Teil der Natur begreifen sollte. Aus der Opposition Mensch-Natur würde dadurch ein „Wir“ (wieder) entstehen (Morizot, Baptiste 2020).
Ökologische Alltagskultur unterstützen – eine Bildungsaufgabe
Ein weiteres thematisches Feld mit hoher Relevanz für eine ökologische Kulturpolitik ist der gesamte Bereich der Alltagskultur. Beispielsweise das
ÖKOLOG-Netzwerk
des österreichischen Bildungsministeriums (Bundesministerium für Bildung 2021) möchte Schulen und Lehrer*innen auf ihrem Weg in eine neue ökologische Alltagskultur unterstützen - eine sehr positive Initiative, da sie Schüler*innen die Ökologie als transversale Aufgabe in allen Lebensbereichen vermittelt. Die Bildungsangebote der Initiative decken breit die verschiedensten ökologischen Fragestellungen und Ansatzpunkte, die in Schulen umgesetzt werden können, ab. Die Verknüpfung mit der kulturellen und künstlerischen Dimension des Wandels bleibt allerdings noch sehr eingeschränkt in den Angeboten der Plattform sichtbar.
Leitsätze einer ökologischen Kulturpolitik
Eine neue Kulturpolitik für das 21. Jahrhundert muss eine ökologische Kulturpolitik sein. Alle Politikfelder müssen den ökologischen Erfordernissen und den Rahmenbedingungen durch den Klimawandel angepasst werden. Das betrifft das gesamte Kultur-Öko-System. Und wie die US-amerikanische Autorin Naomi Klein bereits 2015 treffend formuliert hatte „This changes everything“. Für Entscheider*innen im Kulturbereich würde es demnach zu kurz greifen beispielsweise ein einziges Förderprogramm für grünen Wandel aufzulegen, sondern es müssen das gesamte Fördersystem und alle Unterstützungsmaßnahmen ökologischen Anforderungen angepasst werden. Fünf Leitsätze sollten das diesbezügliche Handeln der Kulturpolitik und -verwaltung bestimmen:
Werte
Ökologische Kulturpolitik stellt den existierenden Wertekanon in Frage. Sie ist deshalb ein politisches Unterfangen und verlangt von Kulturverwaltungen und -politik Bereitschaft für Visionen und Experiment..
Breite
Ökologische Kulturpolitik muss sich den Bürger*innen in ihrer Gesamtheit stellen, um zum notwendigen Wandel beizutragen. Die Orientierung auf Besucher*innen greift zu kurz. Das territoriale Umfeld ist wesentlich und maßgeblich.
Inhalte
Ökologische Kulturpolitik geht über einen Technologiewandel hinaus. Sie hat eine zentrale Rolle, Rahmenbedingungen zu schaffen, die Debatten und demokratischen Zugang zu ökologisch-relevanten Themen ermöglichen.
Natur
Ökologische Kulturpolitik sollte zentrale Themen für die Ökologisierung aufgreifen. Dazu gehört der integrative Ansatz der Mensch-Natur-Beziehung und die Überwindung diesbezüglicher stereotypischer Argumentarien und Handlungsweisen.
Jetzt
Ökologische Kulturpolitik muss umgehend handeln. Die Umsetzung beinhaltet die Ökologisierung der Kultur-Öko-Systeme mit technischen Vorgaben, modernisierte Förderprogrammen und Unterstützungsmaßnahmen und eine Vorbildfunktion der Kulturverwaltung.
Quellen
Amann, Sylvia (2018): Nur scheinbar Freiraum: Realitäten ländlicher Räume und ein Plädoyer für positive Veränderung mit Kulturarbeit. In: Wissensplattform Kulturelle Bildung Online:
Link (letzter Zugriff am: 14.09.2021).
BBC (2020): Why your internet habits are not as clean as you think.
Link (letzter Zugriff am: 18.08.2021)
Bundesministerium für Bildung (2021): ÖKOLOG-Netzwerk – Lehrgang Umweltpädagogik und Lebensqualität 2021-2023.
Link (letzter Zugriff am: 14.09.2021)
Bundesministerium für Umwelt (2021): Österreichisches Umweltzeichen für Green Meetings und Green Events.
Link (letzter Zugriff am: 14.09.2021)
Estonian National Museum Tartu (2016): Estonian National Museum,
Link (Letzter Zugriff am: 18.08.2021)
Europäische Kommission (2021): New European Bauhaus.
Link (Letzter Zugriff am: 17.08.2021)
Europäische Kommission (2014): Förderprogramm Creative Europe, Brüssel
Interreg Europe (2017): Green Screen - Greening the creative industries: improving policy practices for the European Audiovisual industry.
Link (letzter Zugriff: 14.09.2021)
Klein, Naomi (2015): This changes everything – Capitalism vs The Climate, New York: Simon + Schuster
Morizot, Baptiste (2020): Manière d‘être vivant, Arles: Actes Sud
NEMO (2021): Green Museum Podcast.
Link. (letzter Zugriff am: 14.09.2021)
Dieser Artikel wurde in seiner Langform im Oktober 2021 auf
KUBI-Online erstpubliziert.
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