Eine Erfahrungsgeschichte des CLIMATE CULTURES network
Martin Zähringer
25. Oktober 2021
Meine erste Erfahrung mit Klimakultur war die lokale Widerstandsgeschichte am Kernkraftwerk Wyhl in Südbaden. Damals befürchteten die Weinbauern durch die Kühlturmnebel negative Auswirkungen auf ihre Weinkulturen, während die hier im Süden Deutschlands aufkommenden Grünen gesamtheitlich ökologische Bedenken etablierten. Ich war sehr jung, reiste jeden Sonntag auf den besetzten Bauplatz und machte als begeisterter Demonstrant für eine bessere Umwelt eine erste gute politische Erfahrung. Das KKW Whyl wurde nicht gebaut. Später zog ich nach Berlin und politisch wurden andere Dinge wichtig. Ökologie und Klimaschutz kamen erneut ins Bild, als ich das Thema in Literatur und Kunst entdeckte. Und seither lässt es mich nicht mehr los.
Ich arbeite seit meinem Magisterabschluss an der HU-Berlin als freier Literaturkritiker in den Medien und habe immer wieder Feuilletonartikel und Rundfunkarbeiten über Literatur im Kontext von Ökologie und Umwelt publiziert. Aber erst recht spät, im Jahr 2018, erschien in der NZZ mein erstes Feuilleton, das sich nur mit Klimawandel in der Literatur befasst. Damit war das anglophone Konzept der Climate Fiction (CliFi) als Begriff bei uns eingeführt. Trotzdem: "Klimawandel verkauft sich nicht!", so wurde mir und meiner Partnerin und Koautorin Jane Tversted im Jahr darauf bei einer Recherchereise von den Verlagen mitgeteilt. Aber das hat sich sehr schnell geändert, wie wir selbst im Umfeld des deutschsprachigen Literaturbetriebes beobachten konnten, wir waren auch nicht ganz unbeteiligt.
Aber Ehre wem Ehre gebührt. Am Anfang steht eine Bibliographie von Prof. Axel Goodbody, Germanist aus Großbritannien. Sein Forschungsbericht zu deutscher Climate Fiction enthält eine Liste mit klimarelevanten deutschsprachigen Romanen und über einige dieser Titel brachten wir eine längere Sendung im Deutschlandfunk Kultur, gefolgt von weiteren und dem WDR Hörspiel „Climate Fiction“ sowie einer dreistündigen „Langen Nacht vom Klima in der Literatur“ beim DLF. Innerhalb eines Jahres hatten wir das Arbeitsfeld internationalisiert. Die nächste Konzeptidee war ein Literaturfestival mit europäischer CliFi. Das Literaturhaus Berlin war schnell vom Programm überzeugt und kooperierte mit uns, die Berliner Senatsverwaltung für Kultur und Europa förderte das Projekt und trug die Kosten weitgehend. Es vergingen also nur knapp zwei Jahre seit dem ersten CliFi-Artikel in der NZZ bis zu unserem - weltweit ersten - Climate Fiction Festival in Berlin im Dezember 2020.
Climate Cultures als Konzept
Obwohl wegen Covid nur als digitales Ereignis möglich – drei Tage im Internet – wurde das Literaturfestival von Publikum und Presse intensiv und international wahrgenommen. „Wenn die Welt gefährlich wird, darf Literatur nicht harmlos sein!“, das war 2020 das offizielle Motto und wir wollten in diesem Sinn weiter machen. Aber nicht mit einer Routineübung, also etwa einer jährlichen Neuauflage von Climate Fiction, wobei sich das schon anbieten würde, denn Klimawandel in Belletristik, Fach- und Sachliteratur ist inzwischen ein Gebiet, das dringend der Einordnung bedarf. Langfristig geht es uns um die kulturelle Dimension, in der Climate Fiction und jegliche Art von Klimakommunikation entstehen und darum, eine produktive Verbindung zwischen den akademischen, politischen und literarisch-künstlerischen Welten herzustellen – und eben auch zwischen den Klimakulturen dieser Welt. So gründeten wir das gemeinnützige CLIMATE CULTURES network berlin e.V. - laut Satzung ein Verein für Kultur und Klimaschutz.
Als Verein erhielten wir weitere Finanzierungen von der Berliner Senatsverwaltung für Kultur und Europa für das Festival „Planet schreibt zurück!“. Wir erweitern den Zugang mit dem kulturtheoretischen Ansatz Climate and Cultures, wiederum britisch inspiriert von Mike Hulme, Professor für Climate and Cultures am Kings College in London. Aber auch von Imre Szeman aus Kanada, aktiv im akademischen Forschungsparadigma Petrocultures, von Harald Welzer mit seinen Büchern Klimakriege und KlimaKulturen und vor allem von den Traditionen, Produktionen und Präsentationen der Klimakulturen selbst. Planet 2021 findet im November in der Volksbühne und im Babylon in Berlin statt. Schwerpunkte setzen wir mit Arctic People / Climate Cultures sowie Petrocultures / Ölmoderne, literarisch sind wir mit Science Fiction / Climate Fiction dabei. Das visuelle Programm besteht aus einer eigens kuratierten Filmreihe und einer kuratierten Fotoausstellung. 2022 wird mit Australien, der Karibik, New Orleans südlich und auch feministischer und die Böll Stiftung kooperiert mit einer von ihr organisierten Fotokunstausstellung aus Marokko.
Writing climate in climate cultures
Im weiteren Sinn heißt das Arbeitsfeld beim CCnetwork berlin e.V.:
Writing Climate in Climate Cultures. Es erweitert den vom Anthropologen James Clifford begründeten kritischen Ansatz des
Writing Culture, das die kulturelle Hegemonie der westlichen Wissenschaft im imperialistischen Projekt in Frage stellt. Im postkolonialen Kontext steht dann für die kulturelle Selbstermächtigung die bekannte Formel „The Empire writes back!“. Wenn unser aktuelles Festival "Planet schreibt zurück!" heißt, meint das nicht unbedingt die Sprache der Natur, in der uns die Erderhitzung zurück-schreibt, diese aber auch. Das Engagement unserer Arbeit gilt in erster Linien den Traditionen, Produktionen und Praktiken der Klimakulturen dieser Welt. Wir lassen sie für sich sprechen und schreiben sie noch in Mehrzahl. Aber vielleicht wird man einmal von einer Klimakultur sprechen, in der eine planetare Nachhaltigkeit begründet liegt
Der Literatur kommt hier eine besondere Rolle in schwierigen Zeiten zu. Das will nicht heißen, sie wird in den Dienst der Sache gestellt. Vielleicht ist es eher eine Chance, denn Literatur als wesentliches Medium des Kulturlebens muss sich selbst erneuern, wenn sie nicht als Anhängsel des Unterhaltungsbetriebes enden will. Die Masse der irrelevanten Titel hat in den letzten Jahren schon enorm zugenommen. Dieser Verdrängungsmarkt muss zurückgefahren werden, unter ökologischen Gesichtspunkten ebenso wie unter geistig kulturellen. Und wie sich dies – eine Rückkehr zur gesellschaftlichen Verpflichtung der Literatur – im Wettbewerb der Geister abbilden kann, das liegt doch ziemlich offen auf der Hand: Was könnte inspirierender sein als die globale
Condition Humain unter dem Gesichtspunkt eines umfassenden Wandels der Verhältnisse; Klimawandel, das Wort ist dafür zu schwach - starke Texte sind gesucht.
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