Katharina Wolfrum
28. Oktober 2021
Was gängige Förderpraxis in den Künsten und der Kultur (noch) ist und was sie damit nicht leistet, hat Adrienne Goehler in ihrem
Blogbeitrag eindrücklich beschrieben und die Abkehr von dem Prinzip „höher, schneller, weiter“ sowie der „Versäulung“ gefordert. Neben einem neu einzuführenden Instrument wie dem Fonds für Ästhetik und Nachhaltigkeit stellt sich die Frage nach konkreten Umsetzungen in der jetzigen Förderlandschaft: Was ist notwendig und welche kulturelle Infrastruktur gilt es bereitzustellen?
Bevor ich konkrete Vorschläge und Beispiele anführe, kurz eine Darlegung, was ich unter dem vielschichtig aufgeladenen Begriff der Nachhaltigkeit verstehe: Neben der Verschränkung von Nachhaltigkeit und Kultur in der ästhetischen Praxis sowie der betriebsökologischen Komponente (Stichwort Klimaschutz und Ressourcenschonung) geht es auch stets um faire Arbeitsbedingungen (soziale Nachhaltigkeit), also darum die „Ressource Mensch“ zu schonen und den Raum für Kunst und Kultur dauerhaft zu erhalten - so entsteht im besten Fall zudem eine ökonomische Nachhaltigkeit.
Förderinstrumente im Blick
Wie also ließe sich die Kulturförderung in diesem Sinne gestalten? Häufig ist die Rede von einer stärker prozessorientierten Förderung und gerade die vielen, während der Pandemie entstandenen, Neustart-Kultur-Programme gehen in diese Richtung, beispielsweise mit Recherche-Stipendien. Das ist ein guter Anfang, allerdings ist es wenig nachhaltig sich von Stipendium zu Stipendium zu hangeln und auch zuwendungsrechtlich ist eine Zweckbindung immer noch erforderlich. Interessant ist es daher, auf längerfristig angelegte Förderinstrumente zu blicken, durch sogenannte überjährige „Options- oder Konzeptionsförderung“ ist ein vertiefendes und zukunftsorientiertes Arbeiten möglich. Ein wünschenswertes Vorgehen wäre hier, die Zyklen - bei erfolgreicher Arbeit - je zu erweitern, also nach einer Zwei-Jahres-Phase erhält die Künstler*in/die Künstler*innengruppe im nächsten Schritt eine Drei-Jahres-Förderung und danach eine über fünf Jahre. Das gibt Vertrauen und Stabilität in Arbeitsprozesse und schafft auch Optionen, die eigene Infrastruktur, in Form von Proben- oder Lagerräumen auszubauen.
Ein interessantes Experiment in diesem Zusammenhang ist die sogenannte „Produktionsunabhängige Förderung“, die die Stadt München 2019 ins Leben gerufen hat. Diese Förderung wird über den Zeitraum von drei Jahren dezidiert für die weitere Professionalisierung von Gruppen oder Einzelkünstler*innen eingesetzt, worüber beispielsweise Vernetzungstätigkeiten ebenso wie das Erstellen einer eigenen Website finanziert werden können.
Nachhaltige Arbeitsbedingungen
Solche Förderformen erlauben den Aufbau einer kontinuierlichen Künstler*innenbiografie und stellen eine Abkehr von kurzlebiger Projektförderung und Dauerproduktion dar. Zudem ist es auf diese Weise leichter, weitere Gelder für Projekte oder Recherchen zu akquirieren, wovon sowohl die Akteure selbst als auch die Kultur vor Ort wiederum profitieren.
Und mit Blick auf die Projekte selbst? Ein wichtiger Hebel innerhalb des Zuwendungsrechts wäre von einem „sparsamen Wirtschaften“ hin zu einem „ressourcenschonenden Wirtschaften“ zu kommen - also nicht zwingend das günstigste Bühnenbildzubehör via Onlineversand zu bestellen, sondern im besten Falle auf bereits vorhandenes Material zurückgreifen, dieses entsprechend zu bearbeiten etc. Das ist darüber hinaus idealerweise eine Investition in die „Ressource Mensch“ und ermöglicht, in diesem Beispiel, einer Bühnenbildnerin bessere Arbeitsbedingungen.
Darüber hinaus ist es selbstverständlich wichtig, die Förderhöhen so anzupassen, dass Art-but-Fair-Standards umgesetzt werden können - und an dieser Stelle auch der Hinweis an alle Fördergeber*innen: wenn es heißt „Honoraruntergrenzen“, dann meint dies, dass die Honorare über dieser Grenze liegen dürfen!
Ausgehend von Förderbedingungen, die sozialen Nachhaltigkeitskriterien entsprechen, ist es sinnvoll über Regelungen in Bezug auf nachhaltiges Reisen und Produzieren in den Förderrichtlinien zu sprechen bzw. diese zu fordern, beispielsweise im Bereich der Mobilität.
Kulturelle Infrastrukturen
Das Beispiel der produktionsunabhängigen Förderung bzw. überjährigen Förderung macht darüber hinaus deutlich, dass die kulturelle Infrastruktur ebenso mitgedacht werden muss, wenn es um nachhaltige Arbeitsbedingungen für Künstler*innen geht. Was braucht es an Infrastruktur bzw. was muss diese Infrastruktur im nachhaltigen Sinne leisten?
Das bekannteste Beispiel für die betriebsökologische Nachhaltigkeit lässt sich beim British Arts Council finden, da alle von ihm geförderten Kultureinrichtungen ihren ökologischen Fußabdruck messen lassen müssen (mit einem speziell für Kultureinrichtungen angepassten Analysetool). Seither hat sich der Fußabdruck in den Institutionen um 30% reduziert. Ein ähnliches Vorgehen wird in Deutschland nun vom Aktionsnetzwerk Nachhaltigkeit geplant und umgesetzt und es ist absolut wünschenswert, dass sich daran so viele Einrichtungen wie möglich beteiligen.
Zusammenspiel von Politik, Verwaltung und Akteur*innen
Die Einrichtungen selbst können sich allerdings auf solche Prozesse nur einlassen, wenn ihnen eine gewisse Planungssicherheit gewährleistet wird - gerade in denen oft von Künstler*innen betriebenen (und im Städtemarketing beliebten) Zwischennutzungen ist dies nicht der Fall. Insofern sollte ein großes Augenmerk auf die Möglichkeiten der Verstetigung von kulturellen Nutzungen gelegt werden. An dieser Stelle ist es insbesondere wichtig, dass Kommunen bzw.. kommunale Verwaltungen über ihren Tellerrand blicken und fachübergreifend agieren, das heißt es bedarf der Kooperation von Kultur- mit Bauämtern, Planungsstellen oder dem Amt für Wirtschaft, weg von einem Spartendenken.
Das wird nochmal virulenter, wenn nicht nur die Emissionen gemessen werden sollen, sondern - ganz im Sinne der Social Development Goals - eine Gemeinwohlbilanzierung für den umfassenderen Blick das Ziel sein sollte. Bei dieser geht es dezidiert darum, von Arbeitsverträgen über die Anzahl der Fahrradstellplätze alle Nachhaltigkeitsaspekte unter die Lupe zu nehmen. Derartige Verfahren sind aufwendig und daher ist es notwendig, die Prozesse nachhaltigen Denkens und Handelns noch stärker in den kommunalen Strukturen zu verankern und hier die dafür notwendigen personellen Ressourcen bereitzustellen.
Bevor nun die städtischen Verwaltungen vor so vielen Aufgaben, die Köpfe vergraben, möchte ich abschließend noch ein positives Praxisbeispiel für Infrastrukturförderung hervorheben. Aufgrund seines klaren Nutzens sollte es am besten sofort in jeder Kommune umgesetzt werden, die wenigstens etwas Raum und Geld bereit stellen kann; die Rede ist von „Materialumverteilungsinitativen“. Diese leisten einen wertvollen Beitrag zur Kreislaufwirtschaft, in dem sie Material, dass bei Ausstellungen oder Theaterproduktionen anfällt, vor der Entsorgung retten, sichten, sortieren und lagern, um es anschließend wieder an Künstler*innen weiterzugeben. Die Produktionskosten für die Künstler*innen sinken, die Förderung kann verstärkt in Honorare fließen und die Umwelt wird geschont - win-win im nachhaltigen Sinne!
Fazit: Kunst gibt es nicht zu Dumpingpreisen - aber gute Förderinstrumente sind immer noch günstiger als mühsamer Wiederaufbau, wenn die gesamte kulturelle Struktur durch vermeintliche ökonomische Zwänge zerstört wurde.
Autorin