Inspirationen für Nachhaltigkeit im Kulturbereich
Henning Mohr, Ulrike Blumenreich, Uta Atzpodien
23. August 2021
Vielseitig und konkret erfahrbar zeigt die Corona-Pandemie unserer Gesellschaft, wie sehr ein Über- bzw. Umdenken von Gewohnheiten, Werten und alltäglichen Praktiken gefragt ist. Ob als Brennglas oder Übungsfeld für zukünftige Szenarien laden die aktuellen Erfahrungen dazu ein, mehr denn je einen gemeinschaftlich-konstruktiven Umgang mit dem Klimawandel in den Fokus zu rücken. Wissenstransfer, Teilhabe und Solidarität sind dabei wesentliche Schlüsselbegriffe, die auch im Kulturbereich ein Umdenken einfordern, um ihre gesellschaftliche Verantwortung wahrzunehmen.
Fragen zur Transformation
Somit steht auch der Kulturbereich vor wesentlichen Fragen für die Transformation: Welchen Beitrag leisten Kulturinstitutionen, Kulturverwaltung und Kulturpolitik, um den Kulturbereich nachhaltiger aufzustellen? Wie kann ein Wandel hin zu einer Nachhaltigkeitskultur unterstützt werden? Welche Instrumente, Förderungen und Zertifizierungsmodelle braucht es? Wie können Plattformen für den Austausch geschaffen werden? Wie kann explizit der Austausch zwischen Wissenschaft und Kultur verstärkt werden? Wie können die der Kultur innewohnenden Potentiale genutzt werden, um eine zukunftsfähige nachhaltige Gestaltung der Gesellschaft weiter voranzubringen?
Ein Blick zurück
Bereits seit einem halben Jahrhundert steht das Thema »Nachhaltigkeit« auf der Agenda. Auch die programmatische Verknüpfung zur Kulturpolitik kann inzwischen schon auf mehrere Jahrzehnte zurückblicken: Die Kulturpolitische Gesellschaft hat dabei eine nicht unerhebliche Rolle gespielt. Der Zeitstrahl bietet eine chronologische Annäherung mit der Abbildung ausgewählter Ereignisse – und zwar auf drei Ebenen: international, national und bezogen auf das Handeln der KuPoGe. Er beginnt 1972 mit dem Jahr, in dem in Stockholm die erste Konferenz der Vereinten Nationen über die Umwelt der Menschen »United Conference on Human Environment « stattfand und die als Beginn der internationalen Umweltpolitik gilt. In diesem Jahr veröffentlichte auch der Club of Rome den Bericht »Grenzen des Wachstums«, der von Dennis und Donella Meadows vom MIT erarbeitet wurde.
In den ersten 25 Jahren ist die thematische Verknüpfung von Nachhaltigkeit und Kultur bzw. Kulturpolitik wenig ausgeprägt. Dies ändert sich Ende der 1990er Jahre: Auf internationaler Ebene wurde mit der UNESCO-Weltkonferenz »Kulturpolitik für Entwicklung« 1998 erneut in Stockholm eine Verknüpfung der Themen Kultur, Entwicklung und Nachhaltigkeit hergestellt und ein Aktionsplan »Kulturpolitik für Entwicklung« verabschiedet. Um den Jahrtausendwechsel sind dann auch in Deutschland verschiedene Aktivitäten zu verzeichnen. Beispielsweise wird 2001 vom damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder ein Rat für Nachhaltige Entwicklung eingerichtet, und im Folgejahr wird die nationale Nachhaltigkeitsstrategie »Perspektiven für Deutschland« durch die Bundesregierung erstmals verabschiedet.
Kulturpolitik der Nachhaltigkeit
Seit Ende der 1990er Jahre engagiert sich auch die KuPoGe in diesem Themenfeld und treibt eine Verknüpfung von Nachhaltigkeit und Kultur voran. Bezüge zu dieser Schwerpunktsetzung finden sich im Grundsatzprogramm, in zahlreichen durchgeführten Tagungen, Forschungsprojekten und Publikationen wie zum Beispiel »Kultur und Agenda 21« oder »Kunst – Kultur – Nachhaltigkeit«. Besonders hervorzuheben ist das »Tutzinger Manifest«, das 2001 auf der Tagung »Ästhetik der Nachhaltigkeit« in der Evangelischen Akademie Tutzingen entstand. Dieses »Tutzinger Manifest« stellt einen programmatischen Shift dar, denn es forderte die gleichberechtige Integration von Kultur – neben Ökologie, Ökonomie und Sozialem – als vierte Säule in das Konzept »Nachhaltige Entwicklung« und eine engere Verknüpfung von Kulturpolitik und Nachhaltigkeit.
Die damit verbundene Impulswirkung hatte nationalen und internationalen Erfolg. Der Rat für Nachhaltige Entwicklung empfahl auf Grundlage des »Tutzinger Manifestes«, in die Nachhaltigkeitsstrategie ein Kapitel zu Kultur und Nachhaltigkeit aufzunehmen. 2002 wurde das »Tutzinger Manifest« auf der Rio-Nachfolgekonferenz in Johannesburg vorgelegt. In den Folgejahren war die KuPoGe beispielsweise bei der Gründung des Ratschlages Interkultur 2004, als Mitglied der Bundesweiten KoalitionKulturelle Vielfalt und des Runden Tisches Bildung für Nachhaltige Entwicklung vertreten. All diese Entwicklungen sind untrennbar verbunden mit dem viel zu früh gestorbenen Bernd Wagner, der sich als langjähriger Leiter des Instituts für Kulturpolitik wie kaum eine andere Person aus dem Kulturbereich für Nachhaltigkeitsfragen stark machte.
In den vergangenen sechs Jahren ist ein weiterer Bedeutungszuwachs zu erkennen – auch durch den Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung in New York, bei dem die 193 aktuellen Mitgliedsstaaten einstimmig die »Agenda 2030« verabschiedeten und sich damit 17 übergeordnete nachhaltige Entwicklungsziele gaben. In Deutschland entstehen neue Netzwerke und Verbindungen zwischen Akteur*innen: wie beispielsweise 2018 das Projektbüro Nachhaltigkeit und Kultur in Kooperation von BUND sowie dem Deutschen Kulturrat und 2020 das Aktionsnetzwerk Nachhaltigkeit in Kultur und Medien (gefördert von der BKM), das in Zusammenarbeit verschiedener Partner*innen Pilotprojekte initiiert, dokumentiert und kommuniziert.
Ausblick
Es zeigt sich: In den vergangenen 25 Jahren wurde einiges erreicht, aber es bleibt noch viel mehr zu tun, um über Wissenstransfer, Austausch und gemeinsames Gestalten zu einem zukunftsweisenden Handeln zu kommen. Im letzten Jahr hat »Von der Zukunft her – Sommerakademie für eine klimagerechte Kulturpolitik« vom Institut für Kulturpolitik der Kulturpolitischen Gesellschaft als Veranstaltung, die im September 2020 in Wuppertal stattgefunden hat, mit facettenreichen Impulsen markante Akzente gesetzt und einen zukunftsweisenden Austausch angeregt. Auf dieser Grundlage ist die aufschlussreiche Broschüre »Zeit für Zukunft. Inspirationen für eine klimagerechte Kulturpolitik« entstanden. Die WebTalkreihe der Kulturpolitischen Gesellschaft »Kulturpolitik der Nachhaltigkeit« hat mit weiteren Foren den Austausch fortgesetzt. Mit »Digitalität als neuer Treiber einer Kultur der Nachhaltigkeit DNA 4_0« ist ein neues Vorhaben am Start und verbindet Angebote der kulturpolitischen Akademie mit innovativer Forschung zur transformativen Kulturpolitik. Über Podcast-Reihe, Blog, Netzwerktreffen und andere zukunftsweisende Formate werden weitere Akzente gesetzt: Aus all diesen Impulsen wird nicht nur ein »Tutzinger Manifest« 2021 (AT) entstehen. Sie dürfen auch gerne als Anregung verstanden werden, sich »Zeit für Zukunft« zu nehmen.
Der Beitrag erschien erstmals im Mai 2021 in der Dokumentation der Sommerakademie der Kulturpolitischen Gesellschaft 2020: "Zeit für Zukunft. Inspirationen für eine klimagerechte Kulturpolitik" und wurde für den Blog aktualisiert.
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