Dr. Dieter Rossmeissl, Kulturpolitische Gesellschaft e.V. – Landesgruppe Bayern
Kulturdezernent a.D. und Lehrbeauftragter am Lehrstuhl für Pädagogik mit dem Schwerpunkt Kultur und ästhetische Bildung der Universität Erlangen-Nürnberg
Dieter Rossmeissl und Achim Könneke
6. September 2021
Aufruf zur Mitgestaltung des Kulturpolitischen Forums in Tutzing vom 19. bis 21. November 2021
Kultur findet für uns meist im Hier und Jetzt statt: Ausstellungen wie Inszenierungen haben feste Laufzeiten, manche sind gar einmalige Events – dann kommt etwas Neues. Kunst folgt dem Primat des Neuen, des Experiments, der Grenzüberschreitung und -erweiterung. Nachhaltigkeit dagegen setzt auf Dauer, auf Ressourcenschonung und Bestand über Generationen hinweg. Beide scheinen deshalb nicht allzu viel gemeinsam zu haben. In Teilen des Kulturbetriebs ist – immer noch – ein Reflex zu spüren, konsequentere Ansprüche an Nachhaltigkeit vorschnell als kunstfeindliche Selbstbegrenzung abzuwehren.
Die Kulturpolitische Gesellschaft hat schon vor über 20 Jahren erkannt, dass dieser unterstellte Antagonismus falsch ist, dass nachhaltige Entwicklung vielmehr und vor allem eine kulturelle Herausforderung ist. Früh gab es in der Kulturpolitik engagierte Rufer (in der Wüste) wie Bernd Wagner, die den Anspruch formulierten, Nachhaltigkeit nicht auf die traditionellen Säulen von Sozialem, Ökologie und Ökonomie zu beschränken, sondern Kultur als deren querliegende Basis zu begreifen. (Denn unsere Kultur definiert unser Wirtschafts- und Sozialsystem und nicht umgekehrt.)
Im damals prominent unterstützten »Tutzinger Manifest« von 2001 haben die Teilnehmer*innen einer Tagung festgestellt, dass nachhaltige Entwicklung nur funktioniert, wenn sie die »kulturell-ästhetische Dimension «einbezieht. »Wenn Nachhaltigkeit attraktiv sein soll, dann wird die Kategorie der Schönheit zum elementaren Baustoff.« Eine zentrale Forderung war, die überall beginnenden »Agenda 21«-Prozesse viel deutlicher als Prozesse des Kulturwandels durch Kulturpolitik zu gestalten. Dieses Thema beschäftigt viele der damaligen Akteure bis heute und Neue sind hinzugekommen.
Am selben Ort, der Evangelischen Akademie Tutzing , will die Regionalgruppe Bayern der Kulturpolitischen Gesellschaft auf ihrem »Kulturpolitischen Forum« im November 2021 nach den (Er)Folgen und Konsequenzen dieser Einsichten und Ansprüche fragen und einen selbstkritischen Blick zurück wagen. Bei welchen der 17 UN-Nachhaltigkeitszielen ist die Kultur wirklich auf gutem Weg? Können uns die Erfolge in Nachhaltigkeitsbereichen wie Kultureller Bildung, Teilhabegerechtigkeit, Inklusion und andere zufrieden stellen? Was ist tatsächlich gelungen? Wo und warum sind manche Ansprüche vielleicht auch grandios gescheitert?
Im Mittelpunkt des Forums und auch auf dem Weg dorthin aber steht die Aufforderung zum WEITERGEHEN! Wir fragen uns, warum sich Kultur und Ökologie nach wie vor gegenseitig so wenig und selten auf dem Radarschirm haben. Wir sind überzeugt, dass es kulturpolitisch um mehr als Betriebsökologie und CO2-Ausstoß-Reduzierung gehen muss, will die Kulturpolitik in diesem Bereich ihren gesellschaftlichen Relevanzanspruch einlösen.
Der erste Rückblick zeigt: Auch nach 20 Jahren gibt es mehr Fragen als Antworten. Immer deutlicher wird dagegen auch früheren Zweifler*innen, dass der Klimawandel einen radikaleren Bewusstseinswandel und dadurch auch einen deutlichen Kulturwandel erfordert. Wir wissen ja: Wir müssen unser Ändern leben! Hierzu können und sollten Kulturpolitik und Kulturbetrieb entschiedener beitragen.
Deshalb fragen wir: Wie können Kulturpolitik und Kulturbetrieb zu Transformateuren werden? Welche Transformationen brauchen die Kultureinrichtungen, die Kulturproduktion, das Kulturmanagement, die Vermittlung und die Kulturförderung, wenn sie nachhaltig werden wollen (und müssen)? Was bedeutet Nachhaltigkeit für die Lebensfähigkeit von Künstler*innen und damit die Überlebensfähigkeit von Kunst? Wie kann Ästhetik Nachhaltigkeit und die Sicht auf Lebens-Alternativen fördern? Was kann Kulturelle Bildung zu einer kulturell-nachhaltigen Bewusstseinsänderung beitragen? Und schließlich: Welche Impulse oder auch Vorgaben müsste die Kulturpolitik auf welchen Ebenen setzen, um diese Transformation zu einem zukunftsfähigen Kulturbereich gezielt und motivierend zu begleiten und zu stützen?
Darüber hinaus reicht die kulturelle Dimension der Nachhaltigkeit auch in die Inhalte von Kunst und Kultur hinein. Wie können Künstler*innen nachhaltiges Bewusstsein fördern, und welches Engagement kann man von ihnen erwarten, ohne die Freiheit der Kunst einzuengen?
Die Rahmenbedingungen für diese Tagung sind günstig, nicht nur, weil ein »Jubiläum« zu feiern ist. Mit dem »Green Deal« hat die Europäische Union ein Versprechen auf den Weg gebracht, das ohne Kultur nicht eingelöst werden kann, obwohl die Rolle der Kultur – mal wieder – noch zu wenig beachtet wird. Zugleich hat die Corona-Pandemie deutlich gemacht, wie empfindlich einerseits und wie notwendig für ein menschliches Leben andererseits Kultur ist.
Der neue Blog soll zu breiter Diskussion über Nachhaltigkeit in der Kultur und über Kultur in einer nachhaltigen Gesellschaft einladen. Das Institut für Kulturpolitik der KuPoGe als Mitveranstalter und die Kooperationspartner der Tagung – der Kulturausschuss des Bayerischen Städtetags und das Städtenetzwerk »Stadtkultur« freuen sich über alle Beiträge, die den kontroversen Diskurs um ein »gutes Leben« in der Zukunft beflügeln können. Eine Gesellschaft kann nur nachhaltig sein, wenn sie kulturell ist. Dafür die Weichen zu stellen, ist politische Herausforderung, der wir uns gemeinsam stellen müssen.
Der Beitrag und Aufruf zur Mitgestaltung des Kulturpolitischen Forums in Tutzing erschien erstmals im Mai 2021 in der Dokumentation der Sommerakademie der Kulturpolitischen Gesellschaft 2020: "Zeit für Zukunft. Inspirationen für eine klimagerechte Kulturpolitik" und wurde für den Blog aktualisiert.
Autoren
Dr. Dieter Rossmeissl, Kulturpolitische Gesellschaft e.V. – Landesgruppe Bayern
Kulturdezernent a.D. und Lehrbeauftragter am Lehrstuhl für Pädagogik mit dem Schwerpunkt Kultur und ästhetische Bildung der Universität Erlangen-Nürnberg
Achim Könneke, Kulturpolitische Gesellschaft e.V. – Landesgruppe Bayern
Kulturdezernent der Stadt Würzburg. Zuvor war Achim Könneke Leiter des Kulturamts der Stadt Freiburg und im Kulturamt der Stadt Stuttgart sowie der Kulturbehörde der Stadt Hamburg tätig.