von Daniel Gad
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10 Jan., 2022
Findungsprozess zu einem neuen Normal in der Kultur Daniel Gad 10. Januar 2022 Die Zielrichtung ist bereits eindeutig Eigentlich ist doch bereits seit dreißig Jahren alles gesagt: Dass wir unsere Lebensweisen nach den Kriterien der Nachhaltigkeit neu ausrichten müssen, dürfte mittlerweile im Kern nicht mehr ernsthaft befragt werden – sicher wohl aber in den Details. Alle Erkenntnisse aus der Nachhaltigkeitsdebatte stellen klar: Die menschliche Entwicklung und somit die allermeisten Lebensweisen rund um den Erdball sind in ihrer derzeitigen Ausprägung endlich. Deren Fortsetzung wird dazu führen, dass zukünftige Generationen nicht auf gleiche Weise werden leben können. Diese schmerzliche Erkenntnis ist sicherlich zunächst einmal ein wirklich herber Verlust bei all den unglaublich bereichernden, schönen, Menschen verbindenden und Vielfalt vermehrenden Errungenschaften, die allein die Ausweitung der globalen Mobilität oder die in einigen Teilen der Welt erreichte, praktisch grenzlose Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln und Sachgegenständen mit sich führte. Es ist jetzt die Zeit gekommen, zu klären, wie wir diese Transformation so angehen, dass sie einerseits die hier nötige Wirkkraft erzielt und andererseits wir Wege finden, bedeutende Errungenschaften zu bewahren. Das gilt für alle Bereiche unserer Gesellschaften und so auch für die künstlerische Praxis und die Kulturvermittlung. Die Pandemie als Erfahrungswert Die bald zwei Jahre andauernde Covid-Pandemie zwang uns kennenzulernen, was es bedeutet, das bisherige Handeln in so vielen Facetten neu zu denken und anzugehen – auch wenn wir selbstverständlich alles darum geben würden, dieses Erlebnis und das damit verbundene Experiment mit unseren Gesellschaften wäre nie geschehen. Wir alle mussten erleben, wie von oben verordneten Beschränkungen enormen Ausmaßes zur Bewältigung einer solchen Krise aussehen können: einerseits Fremdbestimmung und zugleich eine klare finanziell untermauerte Entscheidung unglaublicher Größenordnung seitens der politischen Entscheidungsträger. Hier und da ist es zwar gelungen, mit Kreativität und Erfinder*innengeist alternative Lösungen zu finden, trotz der nötigen Einschränkungen weiter zu machen. Und gerade im Zusammenhang mit digitalen Ansätzen wurden so auch neue Wege zu arbeiten, zu präsentieren oder auch teilhaben zu lassen gefunden, die nun Bestandteil der beginnenden Post-Pandemie-Zeit werden könnten. Man könnte hier in Teilen geradezu von einem Innovationsschub sprechen. Doch ist ebenso klar: das Erleben von Verlusten und Verboten war für alle Menschen weitgehend unfreiwillig und begleitet mit Sorgen, Ängsten vor Bedrohung, Verlust, Veränderung und weiteren Existenz bedrohenden Faktoren. Ein Ansatz, der aus der Not der Pandemie heraus begründet ist, keineswegs aber unserem demokratischen, freiheitlich denkenden Grundverständnis und dem damit verbundenen eigenständigen Denken und Entscheiden der einzelnen Bürger*innen entspricht. Die Akzeptanz und Verinnerlichung des neuen Handelns und des Umgangs mit Verlust bisheriger Freiheiten bedarf über Not-Entscheidungen hinaus weit mehr Bottom up-Ansätze. Zudem konnten wir alle auch erleben, welche Möglichkeiten zum Wandel – gar auch zum unmittelbaren Wandel – sich bieten, wenn die politischen Entscheidungsträger entschlossen und umfassend einen Transformationsprozess begleiten. Geht Nachhaltigkeit ohne Einschränkungen? So anders die Covid-Pandemie in vielen Dingen im Vergleich zur Nachhaltigkeitsdebatte ist, so sehr gibt es aber auch eindeutige Bezugspunkte, die es nun zu nutzen gilt, die Transformation unserer Gesellschaft endlich und richtig anzugehen. Das Erleben von kurzfristigen Verordnungen durch den Staat und massive Einschränkungen sich (gerade auch international) frei bewegen zu dürfen, war sicherlich von eindrücklich verlustbezogener Erfahrung. Aus Sicht der Nachhaltigkeitsdebatte würde es womöglich Sinn machen, diese pandemiebedingten Mobilitäts-Einschränkungen beizubehalten. So sehr uns ein solcher Gedanke widerstrebt und gerade auch der gesellschaftspolitischen Relevanz des internationalen Kulturaustauschs widerspricht: was bedeutet es, diese Erfahrungen zu nutzen und einzuspeisen in die nun anstehende Transformation hin zu einem nachhaltigen Lebensstil? Denn paradoxerweise befinden wir uns derzeit auch an einem Punkt, wo es einerseits mit verständlichen Argumenten einzufordern gilt, dass wir nach so vielen Monaten pandemiebedingter Einschränkungen das Recht haben müssen, zu unseren alten Gewohnheiten, beispielsweise der umfangreichen Mobilität, zurückzukehren. Die akute Situation scheint uns das Recht zu geben, nun auch akut erlebte Verluste wieder zu mindern: Jetzt hier in der Gegenwart und ebenso in der Zukunft. So wäre Verantwortung gegenüber den Mitmenschen gezeigt. Andererseits gilt es, die Pandemie als Zäsur zu betrachten, die es zu nutzen gilt, den Neustart innerhalb einer neuen Normalität, sprich einer der Nachhaltigkeit verpflichteten Transformation, auszurichten. Wenn diese Transformation doch so schwerfällt, ist nicht jetzt der bestmögliche Zeitpunkt dazu? Kann nicht diese Situation eines Neustarts helfen, die gegenwärtigen Bedürfnisse mit den Bedürfnissen der zukünftigen Generationen zusammenzubringen und somit auch in unser Verantwortungsgefühl die Nachhaltigkeit mit einzubeziehen? Schutz der Künste nötig? Doch wie steht es innerhalb dieses Dilemmas um die Künste? Ist es wirklich so, dass unsere künstlerische Praxis eine Repräsentantin der Nicht-Nachhaltigkeit darstellt und somit als Gegenteil von Zukunftsfähigkeit zu bewerten ist? Stellten wir doch an anderen Stellen wiederholt fest, wie wichtig die künstlerische Praxis für die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaften sei. Sprich: Was an unserer künstlerischen Praxis gilt es, als Teil der bahnbrechenden Erkenntnisse der menschlichen Zivilisation auch gegen die Bedarfe eines globalen Klimaschutzes zu schützen? Welche Argumente würden eine klimabedingte Beschränkung der Freiheit der Künste rechtfertigen? Allein das hier zu schreiben, wirkt bereits paradox, doch es wird deutlich, dass einerseits der globale Klimaschutz einen Wandel, eine Abkehr, ein Weniger als bisher von uns begründet abverlangt und verlangen muss. Wenn wir alle nur ein bisschen klima-neutraler werden, dann genügt dies keineswegs, so die klare Erkenntnis. Doch wie bringen wir dieses Wissen zusammen damit, dass die künstlerische Praxis und damit einhergehend auch die Kulturvermittlung in ihrer Freiheit geschützt und bewahrt werden müssen? Denn sonst würden wir das ihr innewohnende Potenzial in nicht abzuschätzender Weise beschneiden. Wie bringen wir Bewahren und Verändern produktiv und nicht einschränkend zusammen? So, wie in vielen Bereichen des Lebens, gibt es bereits auch erste Ansätze darin, künstlerische Praxis entlang der Kriterien des nachhaltigen Lebens zu organisieren. Doch wie stellen wir sicher, dass an dieser Stelle nicht höhere Kosten die Kreativität ausbremsen? Welche zusätzlichen Förderansätze braucht es deshalb für die künstlerische Praxis und die Kulturvermittlung? Auch hier gibt es mit den wohl eher in der Schublade verschollenen „Konzeptgedanken zu einem Fonds Ästhetik und Nachhaltigkeit“ von Adrienne Göhler erste Ansätze. Womöglich wurden sie auch innerhalb des eigenartigerweise bereits wieder ausgelaufenen „Fonds Nachhaltigkeitskultur“ aufgegriffen. Und welche Förderung braucht es hier auch in globaler Perspektive? Ebenso wie der Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen völkerrechtlich verankert auch zu einer globalen Gemeinschaftsaufgabe formuliert wurde. Begleitend stellt sich die dringliche Frage, was nachteilig mit der Qualität der künstlerischen Praxis passiert, wenn Nachhaltigkeitskriterien zu weniger internationalem Austausch, weniger Inspirationsmomenten, weniger Koproduktionen, weniger künstlerisch-inhaltlich geleiteten Entscheidungen für die Beteiligung von Künstler*innen aus anderen Weltregionen oder für Produktionsorte in entlegenen Teilen der Welt führen, weil beispielweise die Mobilität per Flugzeug geächtet wurde. Ausnahmeregelung für Kultur? Kann hier eine besondere Form der „Exception Culturelle“, wie sie für den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen im Kontext der globalen Wirtschaftsbeziehungen formuliert wurde, ein Schlüssel sein? Doch wie weit kann eine derartige Ausnahmeregelung für die Besonderheiten der Kultur greifen? Einerseits sprechen Argumente für eine ungezügelte Ressourcennutzung von künstlerischer Praxis für die Wahrung von uneingeschränkter Kunstfreiheit und damit Wirkungsfreiheit. Die Systemrelevanz von künstlerischer Praxis liegt ja gerade darin, unsere Gesellschaft produktiv zu begleiten und zu hinterfragen. Doch gehören im Zuge der daraus erwachsenen gesellschaftspolitischen Verantwortung, Vorbild und Vorreiter zu sein, auch die Produktionsbedingungen und deren Vorbildfunktion für sowohl das Privatleben als auch andere gesellschaftliche Bereiche hinzugezogen in das Handeln, welches Teil eines entschieden nachhaltigen Lebensstils sein muss. Kunst ist ja bereits heute nicht völlig frei; heutzutage würde kaum jemand hinterfragen, dass Tierquälerei aus der Freiheit der Kunst ausgenommen ist. Was macht es also, wenn die künstlerische Praxis noch ein Stück unfreier wird, weil die Freiheiten der zukünftigen Generation gleichwertig wichtig sind wie unsere Freiheiten hier und jetzt? Doch was passiert mit unserer künstlerischen Praxis, wenn der gesamte Zyklus von Entwurf, Produktion, Distribution bis zur Entsorgung umfassend klimaneutral ausgerichtet werden würden? Wie können wir daraus entstehende Defizite auffangen? Neue Ansätze Neue Ansätze liefert uns hier eine relativ junge Fachdisziplin: das Transformationsdesign. Hier wird unter anderem erforscht, wie es dennoch gelingt, eine Praxis zu bewahren oder sie guten Gewissens zu verändern, ohne dass ein wirklicher Verlust der inhaltlichen Zielsetzung entsteht. Die Architektur hat innerhalb der Denkmalpflege durchaus Antworten darauf gefunden, wie Bewahren und Verändern zusammenzubringen sind. Sei es, dass Thermo-Verglasungen auch in einem denkmalgeschützten Gebäude möglich sind oder dass moderne Architektur an denkmalgeschützte Architektur anschließen kann, ohne deren Formensprache grundlegend negativ zu beeinflussen. Was können wir daraus für die künstlerische Praxis lernen? Apropos Lernen: Wissen zu teilen, ist ja bekanntlich Bestandteil des Sharing-Gedankens innerhalber der Nachhaltigkeitskonzepte. Gerade an dieser Stelle gilt es erneut, den großen Wert eines lebendigen internationalen Austauschs und internationaler Koproduktionen nicht außer Acht zu lassen, um Inspirationen von einem Winkel der Erde an einem anderen zu neuen lokal passgenauen Konzepten zu verhelfen. Denn sicherlich hat auch die Nachhaltigkeitsdebatte erkannt, dass es keine universellen Lösungskonzepte gibt, die ohne jegliche lokale Einfassung eine lokale Wirkkraft und Zustimmung erfahren werden. Autor