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Orte kultureller Nachhaltigkeit

 

Öffentliche Bibliotheken im digitalen Zeitalter

Tim Schumann

18. Oktober 2021

 


Öffentliche Bibliotheken wurden bisher nur wenig betrachtet, wenn es um die Frage der Nachhaltigkeit im digitalen Zeitalter ging. Leider finden Sie oftmals keinen Eingang in Strategien und Programmen der Politik zur nachhaltigen Entwicklung (wie z.B. in der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung). Dabei sind sie sehr häufig die am stärksten besuchte Kultur- und Bildungseinrichtung in einer Stadt und haben damit großes Potential, eine nachhaltige Zukunft zu fördern. Seit einigen Jahren stellen sich immer mehr öffentliche Bibliotheken die Frage, was Nachhaltigkeit für sie darstellt und welche Rolle sie in einer nachhaltigen Gesellschaft des 21. Jahrhunderts einnehmen sollen. Damit verbunden ist auch der massive Wandel des Ortes sowie die Rolle einer öffentlichen Bibliothek im digitalen Zeitalter. Von bisher oft passiven und stillen Orten des Buches, wandeln sie sich zu aktiven und lebendigen Orten der Zivilgesellschaft, des Experimentierens und der Begegnung (1).

 


Veränderungen öffentlicher Bibliotheken im digitalen Zeitalter


Das digitale 21. Jahrhundert hat einen massiven Einfluss auf das Selbstverständnis von Bibliotheken. Die stark geänderten Verhalten der Menschen beim Lesen wie auch bei ihren Zugängen zu Medien und Informationen bringen Bibliotheken seit mehreren Jahren dazu, ihren gesetzlichen Auftrag der Bereitstellung von Informationen, neu zu interpretieren. Viele Menschen erfüllen ihre Informations- und Bildungsbedürfnisse schon lange nicht mehr ausschließlich über Bücher, sondern verlagern sich in die digitale Sphäre. Vor allem bei Kindern und Jugendlichen ist dieser Trend nicht zu übersehen! Zudem nutzen viele Menschen den Raum Bibliothek deutlich anders, halten sich deutlich länger auf oder nutzen öffentliche Bibliotheken als Arbeitsräume, zur Entspannung oder als Treffpunkte.


Dabei ist es nicht neu, dass sich öffentliche Bibliotheken gesellschaftlichen Entwicklungen anpassen. Sie reagieren schon immer auf gesellschaftliche Megatrends wie eine alternde Gesellschaft, den Wandel hin zu Migrationsgesellschaft oder die Transformation hin zur digitalen Gesellschaft. Daher ist es auch nicht ungewöhnlich, dass sie sich in den letzten Jahren auch immer stärker im Bereich der Nachhaltigkeit hervor tun und mit Hilfe der 17 Ziele der UN ihre Arbeit neu bewerten. Vielmehr scheinen die 17 Ziele wie gemacht für die neue Rolle öffentlicher Bibliotheken – und damit ist nicht gemeint, dass Bücher und andere Medien zu den Themen gekauft werden (2)! 


Die Digitalmoderne hat einen sozialen Charakter (3)


… die Zukunft der Bibliotheken auch. Als so genannte ‚Dritte Orte‘, oder ‚Wohnzimmer der Stadtgesellschaft‘ wird auch der soziale Charakter öffentlicher Bibliotheken immer bedeutender. Wenn die soziale Komponente mit der ökologischen verknüpft wird, ergeben sich für öffentliche Bibliotheken eine nahezu einzigartige Rolle. Sie können eine ‚moderne Agora‘ oder ein „Werkzeugkasten“ (4) für die Nachbar:innenschaft sein, um gemeinsam Lösungen für lokale Probleme finden. Damit bleibt eine Bibliothek sogar auch ihrer Aufgabe treu, Wissen und Informationen zu vermitteln, nur dass das nicht mehr ausschließlich über Bücher geschieht.


"If, today, the library didn't already exist, it's hard to imagine our society's leaders inventing it." (5)


Viel zu selten wird erkannt, welche einzigartige Rolle öffentliche Bibliotheken in der Gesellschaft einnehmen. Sie sind als „low-intensive meeting places“ (6) Orte, die möglichst allen Menschen zur Verfügung stehen sollen. Zudem sind sie im Grunde jederzeit kostenfrei nutzbar und die Menschen können sich den ganzen Tag in einer Bibliothek aufhalten, ohne einen Cent bezahlen zu müssen (inkl. kostenfreiem Wlan). Dazu kommt, dass Bibliotheken versuchen, weitere Barrieren zu erkennen und abzubauen. Unter dem Arbeitsbegriff der ‚diversitäts-orientierten Öffnung‘ (7) wird auch hinterfragt, wer eigentlich bisher in die Bibliothek kommt, und wer nicht und wer eigentlich in Bibliotheken arbeitet und wer nicht. 

 

Bibliotheken als Akteurinnen im Zeitalter der ökologischen und sozialen Nachhaltigkeit!


Das Thema der sozial und ökologisch nachhaltigen Bibliotheksarbeit steht in Deutschland noch am Anfang, gewinnt jedoch stark an Bedeutung (8). Zudem gibt es keine vergleichbaren Bildungs- und Kultureinrichtungen, die eine ähnliche lokale Breitenwirkung entwickeln können, wie Öffentliche Bibliotheken. Daher nehmen Sie eine zentrale Rolle in einem nachhaltigen 21. Jahrhundert ein! Dem vermeintlichen Vorwurf, dass Öffentliche Bibliotheken damit ihren eigentlichen Auftrag nicht mehr erfüllen würden, wird hier klar mit zwei Antworten widersprochen:


  1. Nein! Bibliotheken helfen den Menschen, in einer sich stark und rasant verändernden Welt Orientierung und Wissen zu erlangen. Die bevorstehenden dramatischen Veränderungen stellen eine gewaltige Herausforderung im alltäglichen Leben dar, für die die Menschen gestärkt werden müssen.
  2. Egal! Die prognostizierten Veränderungen durch den drohenden Klimakollaps bedrohen den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Demokratie, so dass keine Zeit mehr für eine vermeintliche Neutralität bleibt. Vielmehr kann es Bibliotheken in ihrer Rolle stärken, hier eine klare Position zu beziehen!



Quellen

(1) Hauke (2019, Hrsg.): Öffentliche Bibliothek 2030: Herausforderungen, Konzepte, Visionen, 2019. Online unter: Link 

(2) https://www.biblio2030.de/

(3) Rauterberg (2013): Wir sind die Stadt, Berlin, 2013, S. 77-78.

(4) Lankes (2017): Erwarten Sie mehr! Verlangen Sie bessere Bibliotheken für eine komplexer gewordene Welt, Berlin, 2017.

(5) Erich Klinenberg (2018): Palaces for the people : how social infrastructure can help us fight inequality, polarization, and the decline of civic life, New York, 2018. S. 37.

(6)  Audunson: The public library as a meeting-place in a multicultural context. In: Journal of Documentation.

(7)  https://www.360-fonds.de/

(8)  Netzwerk Grüne Bibliotheken  oder die Initiative Libraries4Future


Autor


Tim Schumann

Tim Schumann leitet die Heinrich-Böll-Bibliothek in Berlin-Pankow. Er ist Mitinitiator des ‚Netzwerks Grüne Bibliothek‘ und ‚Libraries4Future.‘ Für ihn sind öffentliche Bibliotheken zentrale soziale Infrastrukturen, Menschen in ihren alltäglichen Fragen und Problemen zu unterstützen. Das bedeutet auch, dass sich Bibliotheken zu starken Akteuren einer nachhaltigen Zukunft weiter entwickeln müssen.



Foto Corinne Stoppelli

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