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Kulturelle Bildung und Nachhaltigkeit

Ulli Sommer

8. November 2021



Wie können wir so leben, arbeiten und wirtschaften, dass auch künftige Generationen noch eine intakte Umwelt und eine lebenswerte Umgebung vorfinden? Wie müssen wir in Zukunft unseren Umgang mit Ressourcen gestalten, um die Entwicklungschancen in anderen Regionen der Welt nicht zu gefährden? Wie kann es gelingen, Menschen weltweit und ein Leben lang Zugang zu hochwertiger, inklusiver und chancengerechter Bildung zu ermöglichen? Wie wird das Ziel Nachhaltigkeit auch für nicht privilegierte gesellschaftliche Milieus überzeugend? All dies zählt zu den großen Fragen der Nachhaltigkeitsdebatte.


Welchen Beitrag kann kulturelle Bildung – verstanden als Allgemeinbildung im Medium der Künste (Rat für Kulturelle Bildung 2013) – für den Nachhaltigkeitsdiskurs und für nachhaltige Entwicklung leisten? Wo liegen ihre spezifischen Zugänge und Wirkpotentiale in diesem Kontext? Kann kulturelle Bildung Transformationsprozesse im Sinne einer nachhaltigen und zugleich lebenswerten Gestaltung der Welt anstoßen und beflügeln? Und wenn: Wo und wie tut sie dies? Und nicht zuletzt: Wie können sich kulturelle Bildung und Bildung für nachhaltige Entwicklung wechselseitig ergänzen und beflügeln?


Nachhaltigkeit als kulturelles Projekt
 

In jüngeren Debatten wird immer wieder hervorgehoben, dass nachhaltige Entwicklung nicht nur ein ökologisches, ökonomisches oder soziales Projekt ist, sondern auch eine – lange unterschätzte – kulturelle Dimension hat (etwa Leipprand 2013). Nachhaltigkeit bzw. ein nachhaltiger Lebensstil verlangt eine neue, eine andere Haltung zur Welt und setzt zwingend eine Veränderung kultureller Normen und Verhaltensweisen, ein Aufbrechen alter Denkmuster – also all dessen, was Harald Welzer „gewachsene mentale Infrastrukturen“ (Welzer 2011) nennt – voraus. Es braucht dafür die Entwicklung von positiven Zukunftsbildern und Narrativen, die die „Lebensqualität in einer nachhaltigen Moderne“ (Schneidewind 2018) und deren Gestaltbarkeit in den Vordergrund rücken und nicht nur um Dystopien kreisen. Denn sonst scheinen sich nachhaltige Zukunftsperspektiven vorrangig mit Bedrohung, Verzicht oder Verboten zu verbinden. Wie es im Tutzinger Manifest sehr weitsichtig bereits 2001 formuliert wurde: „Denn der Erfolg des Jahrhundertprojektes dürfte entscheidend davon abhängen, ob und wieweit es künftig gelingt, neben naturwissenschaftlichen, sozial- und wirtschaftspolitischen Konzepten auch kulturell-ästhetische Gestaltungskompetenzen substanziell in die Umsetzungsstrategien einzubeziehen.“


Am Beginn eines Transformationsprozesses steht in der Regel die Irritation, weil das Alte, das Gewohnte nicht mehr trägt. Kunst, Kultur und kulturelle Bildung vermögen es in besonderer Weise, die Irritation in einen kreativen Impuls und in einen Anstoß zur Veränderung zu verwandeln. 


Kulturelle Bildung und Bildung für nachhaltige Entwicklung: produktive Partnerinnen

 

Gleichwohl mag sich die Frage aufdrängen, ob es nicht vorrangig Aufgabe der Bildung für nachhaltige Entwicklung sein sollte, sich mit dem Nachhaltigkeitsthema zu befassen. Dass sich Bildung für nachhaltige Entwicklung in den 1990er Jahren als neues, eigenständiges Arbeitsfeld entwickeln und etablieren konnte, ist zweifellos ein Fortschritt und ein Gewinn. Das Verhältnis von kultureller Bildung und Bildung für nachhaltige Entwicklung ist jedoch nicht als ein Konkurrenzverhältnis zu sehen, vielmehr gibt es hier die Chance produktiven Zusammenwirkens auf der Grundlage unterschiedlicher Stärken. Die Vorzüge der kulturellen Bildung liegen darin, dass sie ausdrücklich und vorrangig auf einen Prozess der Selbst- und Persönlichkeitsbildung zielt, dass sie Lern- und Experimentierräume eröffnet und von Ergebnisoffenheit geprägt ist, dass sie zu einem Perspektivwechsel und zur Infragestellung von Gewissheiten einlädt, Diskursräume jenseits der eigenen „Milieublasen“ schafft und nicht in derselben Weise normativ aufgeladen ist wie Bildung für nachhaltige Entwicklung (Reinwand-Weiss 2020). Insofern können sich Bildung für nachhaltige Entwicklung und kulturelle Bildung wechselseitig befruchten und beflügeln. Wie Karola Braun-Wanke und Ernst Wagner (2020) schreiben: „Wenn es gelingt, BNE und kulturelle Bildung gleichberechtigt zu verbinden, dann haben sie die transformative Kraft, eine lebenswerte Zukunft sowohl subjekt- als auch gemeinwohlorientiert greifbar zu machen und so den Wandel zu gestalten.“


Kunst, Kultur und kulturelle Bildung als Baustoff einer nachhaltigen Zukunft?


„Wenn Nachhaltigkeit attraktiv sein und faszinieren soll, dann wird die Kategorie Schönheit zum elementaren Baustoff einer Zukunft mit Zukunft, zu einem allen Menschen zustehenden Lebensmittel“, so poetisch liest es sich im Tutzinger Manifest von 2001.


Wenn kulturelle Bildung jedoch eine ernstzunehmende Rolle im Nachhaltigkeitsdiskurs einnehmen und Transformationsprozesse im Sinne einer nachhaltigen und zugleich lebenswerten Gestaltung der Welt anstoßen und beflügeln will, wird sie zum einen in einem anderen Maße als bisher strategische Allianzen mit anderen Akteur*innen eingehen und sich aus einer oftmals selbst gewählten Verinselung lösen müssen – ohne Abstand vom „Eigensinn“ künstlerischen und kreativen Tuns zu nehmen. Sie wird sich zudem gefallen lassen müssen, dass ihre Wirkungsbehauptungen einer kritischen Überprüfung und Evaluierung unterzogen werden.


Damit kulturelle Bildung die ihr zugeschriebene transformative Kraft entfalten kann, braucht es aber auch verlässliche Strukturen und eine sichere und nachhaltige Verankerung, in schulischen wie in außerschulischen Kontexten. Solange die Struktur des Handlungsfeldes jedoch – wie bislang – vorrangig durch zeitlich begrenzte, wenngleich mitunter opulent ausgestattete Förderprojekte bestimmt wird, während die regelhafte Infrastruktur eher prekären Charakter besitzt, wird die Idee von der kulturellen Bildung als einem allen zustehenden Lebensmittel und Baustoff für eine nachhaltige Zukunft ein schönes, aber uneingelöstes Versprechen bleiben. 

 


 

Quellen

 

(1) Braun-Wanke, Karola/Wagner, Ernst (Hrsg.): Über die Kunst, den Wandel zu gestalten. Kultur – Nachhaltigkeit – Bildung, Münster/New York 2020.

(2) Leipprand, Eva: Kultur, Bildung und Nachhaltige Entwicklung, in: Kubi-online 2013/2012 (Link, 22.08.2020).

(3) Rat für Kulturelle Bildung: Alles immer gut. Mythen kultureller Bildung, Essen 2013.

(4) Reinwand-Weiss, Vanessa-Isabelle: Kulturelle Bildung als Bildung für nachhaltige Entwicklung? Impulse für die Verbindung zweier normativer Ansätze und Praxen, in: kubi-online 2020 (Link, 08.01.2021).

(5) Schneidewind, Uwe: Die große Transformation. Eine Einführung in die Kunst gesellschaftlichen Wandels, Frankfurt 2018

(6) Kulturpolitische Gesellschaft (Hrsg.): Tutzinger Manifest, 2001 (Link, 08.01.2021).

(7) Welzer, Harald: Mentale Infrastrukturen. Wie das Wachstum in die Welt und in die Seelen kam, Berlin 2011, Heinrich-Böll-Stiftung, Schriften zur Ökologie 14 (Link, 08.01.2021).


Autorin

 

Norbert Sievers

Ulli Sommer

Ulli Sommer ist Geschäftsführerin der Wider Sense TraFo gGmbH, die verschiedene Projekte aus dem Handlungsfeld kulturelle Bildung bzw. Umgang mit kulturellem Erbe umsetzt; so unter anderem das von der Stiftung Mercator geförderte Projekt „Kreativpotentiale im Dialog“, dessen Ziel eine nachhaltige Verankerung von kultureller Bildung in den Schulsystemen der Länder ist. Ulli Sommer ist Historikerin und Bildungswissenschaftlerin und hat sich mit Migrationsgeschichte, Demokratiebildung, Bildungsmanagement und bürgerschaftlichem Engagement befasst und dazu verschiedene Beiträge veröffentlicht.


Foto: RuhrFutur gGmbH 

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